Der Kindsmord ist in den Medien eher ein Begriff für die „Lust am Töten“ oder manchmal in Verbindung mit Entwicklungsländern präsent. Ebenso sind dazu politische Motive historisch belegt und die Medizin kennt Kindsmord-Geschichten durch Fallsammlungen.
Kindsmord sagt man aber auch, wenn man eine Flasche Wein viel zu früh geöffnet hat. Wenn der Wein noch ganz am Anfang seiner Entwicklung steht, wenn er noch gar keine Chance hatte, aus den Kinderschuhen rauszukommen, sprich – wenn er seiner Reifepotenzialen beraubt wurde.
Kindsmord sagt man nicht unbedingt bei einem Wein der 42 Jahre auf dem Buckel hat. Und dennoch fällt mir im ersten Moment kein anderes Wort ein. Denn, Teenagermord kann es auch geben, kommt jedoch in der Weinsprache nicht vor.
Vor drei Tagen hatte ich in einem Seminar dieses erschütternde Mord-Erlebnis eines viel zu früh geöffneten Weines. Meine Idee war, den Kursteilnehmern zu zeigen, wie ein Wein sich entwickeln kann, wenn dieser in Vergessenheit gerät. Das Gegenteil war passiert.
Der 1975er Niederhäuser Hermannsberg Riesling Spätlese war nicht nur glockenklar, auch der Kork (ein kurzer Zapfen) zeigte kaum Spuren seines wahren Alters. Sein Bukett lies nur eine feine Nuance von einem Hauch von Firne zu. Changiert von dezenten balsamischen Noten und Anklängen einer nicht zu erwartenden feinen Frucht, gepaart mit einer Frische, die nur ein Riesling nach all den Jahren ins Glas bringt. Großartig!
Zugegeben: Nase übertraf Gaumen deutlich, denn der Wein lies die Länge vermissen. Dafür war das Mundgefühl samtig weich und seidig, dass man glaubte etwas besonders Leichtes auf der Zunge liegen zu haben.
Kurze Rede: Ein bisschen geärgert hat es mich dann doch bei dem Gedanken, dass dieser Riesling noch gut und gerne 10 Jahre hätte weiter in meinem Keller liegen können. Zu bereuen gibt es jedoch nichts, ebenso muss ich keine Strafverfolgung befürchten. Echter Mord ist nicht nur schlimmer, sondern auch unverzeihlich.
So gilt mein Dank der Verwaltung der Staatlichen Weinbaudomänen Niederhausen – Schloßböckelheim im Anbaugebiet Nahe. Warum keine Alkohol- und Inhaltsangabe auf der Flasche zu finden ist, hat sich mir noch nicht erschlossen. Vielleicht fehlt auch das Rückenetikett. Zur Lage habe ich recherchiert, dass der Namengeber ein Bergwerkstollen (Hermannshöhle) ist und Hermann von Hermes, dem römischen Schutzgott der Boten und Reisenden abgeleitet ist.
Reine Südlage (130-175 Seehöhe), Boden aus schwarz-grauem Schiefer vermischt mit vulkanischem Eruptivgestein. Seit über 100 Jahren die steuerlich am höchsten bewertete Lage der Nahe und damit Richtschnur für die Bewertung aller anderen Weinberge. Der Riesling erreicht hier immer eine hohe Reife und die Weine dieser großartigen Lage haben mit ihrer Komplexität, Kraft, Eleganz und langen Lagerfähigkeit viel zu dem guten Ruf deutscher Weine weltweit beigetragen. VDP klassifizierte Lage. (Auszug aus dem Katalog der VDP-Klassifikation).