30.03.2010 – Auftakt der Primeurverkostung für den Jahrgang 2009. Eine Menge Rummel in Bordeaux, an blau gefärbten Lippen und Zähnen kann man die Teilnehmer an diesem Verkostungsmarathon leicht identifizieren. Ein mit Spannung erwarteter Jahrgang – die Vorschusslorbeeren für den 2009er sind gewaltig, Parker und Wine Spectator haben bereits vor 14 Tagen verkostet, hinter vorgehaltener Hand spricht man von teilweise sehr hohen Bewertungen. Beim Wine Spectator sind schon einige Bewertungen raus, die Premiers und Super Seconds von der Left Bank liegen fast durchweg zwischen 95 – 100 Punkten.
Erste Frage: What about the price? Natürlich halten sich alle noch bedeckt, aber generell geht man von Preissteigerungen für die Top 100 gegenüber 2008 aus, so jedenfalls der O-Ton einiger Negociants mit denen ich gestern und heute sprach. Die Gretchenfrage ist: Wieviel mehr verträgt der Markt? Die Mengen entsprechen bis auf wenige Ausnahmen (u.a. in Saint Emilion, wo ein Hagel die Erträge deutlich reduzierte) einem normalen Jahresertrag – es wird also genug geben. Orientiert man sich an den 2005er Preisen (Wir erinnern uns an den bisher teuersten Subskriptions-Jahrgang in der Geschichte) oder werden die Aufschläge moderater sein? Schließlich liegen noch eine Menge unverkaufter Weine aus den Vorjahren in den Kellern, deren Abverkauf durch den 2009er Jahrgang nicht unbedingt leichter wird. Man spricht sogar von Rücknahmen unverkaufter 07er und 08er Weine vom amerikanischen Markt durch einige Châteaux, um einem Preisdumping entgegen zu wirken. Welche Märkte werden jetzt kaufen? Steigen die USA und England nach der Zurückhaltung der Vorjahre wieder groß ein? Was macht Asien? Wird sich China, das bisher keine Rolle in der Subskription spielte, in den Markt einklinken? Einkäufer aus Asien haben wir heute jedenfalls genug gesichtet, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist alles noch relativ hypothetisch. Verlässliche Aussagen sind logischerweise momentan rar; in 2-3 Wochen werden wir mehr wissen. Unabhängig von dem Getöse um die großen Weine wird es – wie in jedem Jahr – in der zweiten Reihe eine Menge guter Preis-Leistungs-Weine geben.
Zweite Frage: In welche Richtung entwickelt sich Bordeaux stilistisch? Der 2009er Jahrgang erbrachte wieder unheimlich konzentrierte und reife Weine. Alkohol-Levels von 14 Vol. sind längst keine Seltenheit mehr, die Tannine sind teilweise so soft, dass viele Weine schon getrunken werden können. Warum auch nicht – nicht jeder will 10 Jahre oder länger bis zum Trinkgenuss warten. Die Herausforderung in 2009 – so zeigten heute die ersten verkosteten Weine –lag darin, trotz Fülle und überbordender Frucht Eleganz und Frische in die Weine zu zaubern. Das Ergebnis: Nicht allen ist das gelungen, viele Weine sind vom eleganten und finessenreichen Wein weit entfernt. So wird 2009 trotz unstrittiger Qualität auch den Markt spalten – bei klassischen Bordeauxtrinkern wird die Begeisterung für 2009 nicht in jedem Fall überschwänglich ausfallen. Wer dagegen auf Opulenz steht, für den wird 2009 das Mekka des neuen Bordeaux. Das Potential? Sicherlich verfrüht zum jetzigen Zeitpunkt. Geringe Säure – ok. Die Meinung einiger Kritiker, dass der „moderne“ Bordeaux nicht mehr so lange hält, halte ich persönlich für fragwürdig. Da gibt es genug Beispiele aus der Neuen Welt mit genauso üppigen und reifen Weine, die das Gegenteil beweisen. In 20 Jahren sind wir schlauer.
Erste Station: Château Smith-Haut Lafitte für die Cru Classé aus Pessac-Léognan
Außer den Flagschiffen Haut-Brion und La Mission war alles an Bord. Eine Menge schöner Weine in beiden Farben – für mich als Appellation heutiger Tagessieger. Bei weiß stach einmal mehr Domaine de Chevalier hervor (aromatische Tiefe, kristalline Struktur, große Frische, dezentes Holz, lang, 18,5 P.). Gute Ergebnisse auch vom Gastgeber (Stachelbeere, viel neues Holz, füllig, saftige Frucht, 17,5 P.) sowie vom ständigen Underperformer Château Carbonnieux (florale Noten, Stachelbeere, präzise, frisch, 16,5 P.). Rot überzeugten Haut-Bailly (pure, auf den Punkt reife und subtile Frucht, feines Tannin, strukturiert, endet frisch, großer Wein 18,5+P.), wiederum Domaine de Chevalier (mit dem 2009er hat man wohl hoffentlich endgültig die lange klaffende Lücke zwischen rot und weiß geschlossen; saftige Frucht, Blaubeeren, nicht überkonzentriert, elegant, super Potential, 18,0 P.) , Smith Haut Lafitte (hohes Aromapotential, krasser Fruchtflesh, konzentriert, leicht brennendes Finale 17,5 P.) und Latour-Martillac (Cassis, Himbeere, keine Überreife, zeigt Frische und gute Länge 17,0 P.) Pape Clement gefiel mir persönlich bei beiden Farben nicht wirklich: zu perfekt und irgendwie leblos. Wird aber sicher wie immer hohe Bewertungen einfahren.
Danach kurzer Besuch bei Domaine de Chevalier und Schwatz mit Eigentümer Olivier Bernard sowie der Rechten Hand Remi Edange. Tolle Philosophie hinter den Weinen, ich gebe es zu, bei dem weißen Domaine de Chevalier werde ich regelmäßig schwach. Erst am vergangenen Freitag hatten wir eine Mini-Vertikale der Jahrgänge 84, 85, 86 und 87. Beeindruckend wie die Weine halten, mein Favorit war der 84er – Komplex, großartige Finesse und Frische, 18 Punkte. Wir probierten auch den ersten Jahrgang 2009 des Neuerwerbs von Olivier Bernard: Château-Lespault Martillac. Saftige und unkomplizierte Weine, besonders gefiel mir auch hier der Weiße, der einen Kauf mehr als wert ist.
2. Station: Château Beau-Séjour für die Cru Classé aus St-Emilion (ohne Ausone, Cheval Blanc, Angelus und Tertre Roteboeuf)
Wesentlich differenzierter als Pessac-Léognan, viele der eingangs erwähnten überkonzentrierten und brennend endenden Weine. Einige davon zeigten schon jetzt mürbe Frucht und wirkten müde – große Zukunft kann man da nicht wirklich voraussehen. Großartig war Figeac, der alle anderen überragte – Perfekte Reife, klare Frucht, präziser, eleganter, erfrischender, fast femininer Wein 19,0 Punkte. Erfreulich auch Château Canon, dessen Wein trotz aller Modernität ebenfalls Struktur und Balance zeigte – 17,0 P. Am anderen Ende für mich u.a. La Dominique (vollbusiges Fruchtmonster) und La Tour Figeac, dessen Wein überhaupt keinen Roten Faden besaß und sich in völliger Selbstauflösung befand. Interessant, das der Wine Spektator für La Dominique 93-96 P. vergibt – kontroverser können verschiedene Ansichten wohl nicht ausfallen.
3. Station: Château Gazin für die Weine aus Pomerol
Schwächste Station – lag sicherlich auch daran, dass bis auf wenige Ausnahmen die Erste Garde fehlte. Ähnliches Bild wie in St-Emilion – üppige, alkoholische Weine. Klasse zeigte La Conseillante – erstaunlich schlank, subtil, feinkörnige Tannine, frisch, kein Blockbuster-Wein, 18,5+ Punkte. Danach viel Mittelfeld und am unteren Ende u. a. Clinet im überreifen, marmeladigen, neuholz-geprägtem Style sowie La Cabanne, dessen müder, simpler und eindimensionaler Wein nicht gerade eine Werbung für Pomerol darstellt.
31.03.2009 – Zweiter Tag im Primeurfieber, welches bei den heute verkosteteten Weinen der Left Bank so richtig glühte. Eine atemberaubende Palette an tollen Weinen und das trotz des Fehlens der Premier Crus und einiger Super-Seconds. Was sich am gestrigen Tag in Pessac-Léognan schon andeutete, wurde heute für mich bestätigt. Die linke Seite ist klar mein Favorit – atemberaubende Fülle, perfekte Reife, dazu Struktur und Eleganz. Cabernet Sauvignon in Hochform – der bei vielen Weinen einen deutlich höheren Prozentsatz als in den letzten Jahren einnahm – dazu ebenfalls hervorragende Ergebnisse beim Komplementär Petit Verdot. Nach Rebsorten steht für mich ganz klar Cabernet Sauvignon an 1. Stelle – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Das dies sicherlich kontrovers diskutiert wird ist mir klar – ein Beispiel sind die ersten veröffentlichen Bewertungen des Wine Spectators, wo es reihenweise Bewertungen zwischen 93-100 Punkten für die Right Bank hagelte. Bordeaux 2009 ist ein weiterer Beweis dafür, wie sehr Bewertungen davon abhängen, welche Kriterien man an erste Stelle setzt.
Zwischen den einzelnen Appellationen im Haut-Médoc gab es für mich relativ wenig Unterschiede, auch wenn naturgemäß Pauillac und St-Julien angesicht des Getümmels an Cru Classés den Ton angab. St-Estèphe fiel etwas ab, allerdings fehlten Montrose, Calon-Ségur und Cos im Tasting.
Erste Station: Château Cantemerle für Weine aus den Appellationen Haut-Médoc, Médoc, Moulis und Listrac
Verkostungsatmosphäre in fast familären Rahmen. Viele sehr gute Ergebnisse bei den Cru Bourgeois, an erster Stelle Poujeaux – feine Tanninstruktur, balanciert, dezentes Holz, 17,0+ P. – dahinter Chasse Spleen – fast schwarze Farbe, Kirsche, Cassis, seidene Tannine, gute Frische, 16,5 Punkte. Bei den Cru Classé überzeugte Cantemerle mit einem sehr eleganten Wein – aromatische Tiefe, Pfingstrose, dunkle Früchte, geschliffen, mittlere Länge, 17,0 Punkte.
Zweite Station: Château Desmirail für die Weine aus Margaux (ohne Château Margaux und Palmer)
Insgesamt sehr hohes Niveau, wenig Entäuschungen. Überragend Rauzan-Segla – sehr aromatisch, pure Finesse, langes von Frucht getragenes Finale, 18,5 Punkte. Desweiteren Kirwan – <süsse> intensive Frucht, feinkörniges Tannin, balanciert 17,5 P. – Prieuré Lichine – schwarze Früchte, viel neues Holz, das aber gut abgepuffert wird, für Liebhaber intensiver Weine, 17,0+ P. und Malescot – St. Exupery – konzentrierte Frucht, dicht, reich, viel Schmelz, gute Länge 17,5 Punkte. Überzeugend auch die Weine aus dem Lurton-Clan – allen voran Château Ferrière – charmanter, leichterer Stil, viel Frische, elegant, mittlere Länge, 17,0+ P. und Durfort-Vivens – intensive Schwarzkirsche, präzise, feinkörniges Tannin, 17,5 Punkte. Weine wie Dauzac oder Marquis de Terme, die weit über ihrem sonstigem Durchschnitt lagen, bestätigen den guten Gesamteindruck in Margaux.
Dritte Station: Château Batailley für die Weine aus Pauillac, St-Julien und St-Estèphe
Großes Gedränge und großes Kino. Sich für Favoriten zu entscheiden, viel wirklich schwer. Im engeren Favoritenkreis Pichon-Baron – Strukturwein, straffes aber feinkörniges Tannin, präzise, kein Gramm Fett zuviel, 18,5 P. – Pichon Comtesse – tiefe Frucht, unheimlich aromatisch, reich, dabei perfekte Balance, 18,5+ P. – Lynch-Bages – 76% Cabernet im Blend, viel Power, dicht, muskolös, kräftiges Tannin, 17,5+ P. – Haut-Bages Liberal – klassischer Pauillac auch in diesem Jahr, aber mit mehr Frucht und Charme, 17,5 P. -, Clerc-Milon (klarer Sieger gegenüber d´Armailhac aus dem selben Haus) – viel neues Holz, feine Cabernet-Aromatik, elegante Tannine, gute Länge, 17,5+ P. und Château Batailley – pure Cassis, mineralische Nuancen, Frische, kraftvolle Tannine, balanciert, 17,5 Punkte. Pontet-Canet hatte mittags leider schon den Stand geräumt, soll aber nach Aussagen von Kollegen ebenfalls groß sein.
Vergleichbares Bild in St-Julien: Leoville Poyferré – superbe Nase, reich, fokusiert; extraktreich, festes Tannin 18,0 P. -, Lagrange – 73% Cabernet S. im Blend, Cassis, fein strukturierter Wein mit Frische und guter Länge 17,5 P. – und Branaire Ducru – Herzkirsche, <sweet>, saftig, reich, fruchtorientierter Stil 17,0+P. Überzeugend auch beide Weine aus dem Hause Barton, wobei Langoa in diesem Jahr den Abstand zum Léoville verkürzen konnte: Léoville-Barton mit 77% Cabernet S. im Blend – subtile Frucht, pure, präziser fast schlanker Stil, elegant 18,0 P. – Langoa-Baron – saftige Frucht, Amarena, dark berries, besitzt nicht die Präzision von Léoville 17,0+ Punkte. Heftig diskutiert wurde Gruaud-Larose – maskuliner, fast stämmiger Wein, powerful, feste feinkörnige Tannine, mineralisch, viel Potential, mich erinnert der 2009er an den 86er Gruaud, der sich im Schneckentempo entwickelt; da Struktur eines meiner Hauptkriterien ist, gibt es 18,0+ Punkte. Einmal mehr enttäuschend Beychevelle, dessen etwas behäbiger und vordergründiger Wein mit dem imposanten Château nicht mithalten kann.
Phélan-Ségur dagegen bewies einmal mehr, das es ohne weiteres in die Reihe der 3. oder 4. Cru Classé gehört: viel Würze, Pfeffer, mineralische Noten, feste Tannine, präzise, gutes Potential 17,5 Punkte. Gute Ergebnisse ferner von Ormes de Pez und Lafon-Rochet, die aber beide nicht an die Klasse anderer Weine herankamen.
Einige an diesem Tag außer der Reihe probierte Crus Bourgeois wie Château Grandis in St-Seurin de Cadourne bestätigten, das man in 2009 auch bei den sogenannten kleineren Weinen hervorragende Entdeckungen machen kann – und: diese Weine kosten nicht wesentlich mehr als in den Jahren zuvor.
Zusammengefasst nochmal meine Kaufempfehlungen – ohne die nicht verkosteten Premieur Crus, einige Super-Seconds sowie Kultweine von der rechten Seite.
Figeac, Haut-Bailly, Pichon Comtesse, Pichon-Baron, Domaine de Chevalier (weiß und rot), Smith-Haut Lafitte rot, La Conseillante, Léoville-Barton, Gruaud Larose, Léoville-Poyferré, Rauzan-Segla, Kirwan, Clerc-Milon, Lagrange, Haut-Bages Liberal, Durfort Vivens, Ferrière, Batailley, Cantemerle, Poujeaux und Phélan-Segur.
Ausführliche Verkostungsnotizen – auch zu nicht erwähnten Weinen- stelle ich auf Anfrage gern zur Verfügung.
Janek Schumann