Was ich bei meiner Japan-Reise auf gar keinen Fall verpasst haben wollte, war die Besteigung des berühmten Fuji San. Japans höchster Berg bietet einen wirklich beeindruckenden Anblick fast perfekter Symmetrie. Unabhängig von Tages- und Jahreszeiten ist seine Silhouette eine besondere „Schönheit“, sofern der Himmel sich wolkenlos zeigt. Am Fuße des Fuji San liegt eines der besten Weinbaugebiete Japans: Das Yamanashi.
Mein taiwanesischer Reisebegleiter und Japankenner David Wang erklärte mir, dass das Kofu-Tal bei Yamanashi besondere Spitzenweine hervorbringe, die auch uns Europäern schmecken. Für einen Abstecher dahin musste er mich nicht lange überreden. Die Fuji-Besteigung kann warten, es ziehen ohnehin Wolken auf.
Beim Durchfahren der bergigen Landschaft denke ich zunächst an reinen Obstbau. Die Trauben fallen sofort ins Auge, weil jede einzelne Dolde in einer Papiertüte hängt. Typisch, denke ich, weil wirklich alles was man in diesem Land kaufen kann verpackt ist. Beim Nachfragen entpuppt sich dieser unglaubliche Aufwand jedoch als Schutz vor Regen.
Die Rebstöcke werden auf knapp zwei Meter Höhe zur riesigen Pergolen erzogen. Die Trauben hängen somit über meinem Kopf im Schatten. Nicht nur bei der Sommerhitze eine gute Idee, auch in den Wintermonaten können so die Reben mit Strohmatten abgedeckt werden und besser vor Eis und Schnee geschützt werden.
In meiner Gastfamilie steht im Übrigen täglich Wein auf dem Tisch. Sie geben mir jedoch zu verstehen, dass Sake (Reiswein) im Land des Lächelns eine wichtigere Rolle spielt. Hier hat mein Gastvater eine unglaubliche Auswahl köstlicher Raritäten, die allesamt (Gott sei Dank) nicht warm getrunken werden. Aber Sake ist ja eher ein Gebräu. Zurück zum Trauben-Wein.
In der übersichtlichen Anzahl Japanischer Weinregionen stehen insgesamt 22.000 ha Rebland. Etwa so viel wie in der Pfalz. Nur rund 20% landet in der Flasche, der große Rest ist Tafelobst. Angeblich werden 1,4 Mio. hl Wein produziert. Es konnte mir allerdings niemand so genau sagen ob in dieser Zahl nicht auch andere Fruchtweine enthalten sind. Mit der Abgrenzung von Wein aus Trauben und Wein aus Pfirsich oder Ananas nimmt man es nicht so genau. Vielleicht lag es aber auch an der Kommunikation. Mit Englisch kommt man nicht weit und mein Übersetzer David trinkt leider keinen Alkohol. Lesen kann man im Grunde nicht viel und so muss man aufpassen was ins Glas kommt.
Insgesamt ist meine Begegnung mit japanischem Wein exotisch und spannend zugleich. Neben dem „Allerwelts-Chardonnay“ und „Everybody-Merlot“ liegt mein Interesse bei den einheimischen Sorten. Im „Cave du Vin“, dem Yamanashi Wine Club kann man von 20 verschiedenen Erzeugern Weine kaufen. Allerdings sind standardmäßig nur 2 Kostproben vorgesehen. Die Sorge betrunkener Gäste ist in Japan nicht unbegründet. Selbst ein ungeübter Europäer verträgt mehr als ein Japaner. Ich weise mich als FuW-Repräsentant aus, was mir die Tür zum Weinkeller öffnet. Ein reizendes Fachpersonal offeriert mir mit funkelnden Augen, sprichwörtlicher Höflichkeit, großem Respekt vor „Deutscher kommt nach Japan“ und dem berühmten fernöstlichen Lächeln viele Sorten, die ich bislang noch nicht kannte.
Eine bunte Mischung aus den Reben Delaware und Campell Early, Isabella und Muscat d’Alexandrie, sowie die einheimischen Sorten Kyoho, Koshu, Kiyomai und Kiyomi. Neben Riesling (der zu meinem Bedauern im Cuvée untergeht) ist auch Müller-Thurgau und Zweigelt bekannt. Zudem die Namen, die wohl in keiner Weinregion mehr fehlen: Cabernet Sauvignon, Cabernet Blanc, Chardonnay, Merlot und Sémillion.
Mein erster Eindruck: Meist werden Cuvées gemacht, bei denen häufig eine der internationalen Sorten mit verwendet wird. Der Flascheninhalt ist 720 ml. Von der Nase her gibt es keine Ausreißer und keine großen Überraschungen. Vielmehr wird das bestätigt, was in meinem „Weinkenner-Kopf“ schon gespeichert ist. Trotz passabler Alkoholwerte empfinde ich die überwiegenden Weine eher leicht und erfrischend, fast ein wenig brav und oft zu fruchtbetont. Restsüße spielt bei den meisten Japanern eine Rolle. Rosés dürfen auch hier als „unkomplizierte Allrounder“ bezeichnet werden und von den internationalen Sorten ist der Merlot mein Favorit. Der Cabernet bringt harte, unrunde Tannine auf die Zunge, was auf Japanisch übersetzt mit „Bitter“ zum Ausdruck kommt. Die meisten Rotweine erinnern mich jedoch, auch wegen der etwas helleren Farbe, an manch Deutsche Gewächse. Dies könnte am Klima liegen.
Ich befinde mich zwar auf dem Breitengrad des Mittelmeeres. Das Wetter ist hier jedoch viel extremer als in Südeuropa. Die Obstbauern müssen hier mit sehr viel Regen im Frühjahr und Herbst zurechtkommen. Extreme Sommerhitze mit hoher Luftfeuchtigkeit (und Taifun-Gefahr) sind krasser Gegensatz zu bitterkalten Wintermonaten.
Eine Sorte hatte es mir dennoch sehr angetan. Der Koshu. Ein Weißwein, der offensichtlich recht vielseitig sein kann und mir in den unterschiedlichsten Varianten eingeschenkt wird. Der 2013er (ein sur-lie, 6 Monate auf der Hefe gelagert) präsentiert sich „sehr französisch“. Ausgebaut in französischer Eiche zeigt er sich betont trocken mit knackiger Säure (Zitrusnote) und einer ganz leichten, angenehmen Bitterkeit. „Er passt gut zu unserem Essen“ sagt man mir und ich antworte, dass dieser Wein auch hätte von der Loire kommen können und dass jetzt nur noch die Austern fehlen. Man versteht meinen Vergleich mit Frankreich als großes Kompliment und freut sich sehr darüber. Der gleiche Jahrgang mit nur ein paar Gramm mehr Restsüße (immer noch trocken ausgebaut) zeigt sich charmant und ausgesprochen süffig und fruchtbetont.
Der 2012er überwältigt meine Nase mit intensiveren Aromen einer großen Obst- und Fruchtschale. Ein gereifter, bernsteinfarbener 2001er überrascht mit ausgeprägter Frucht, feiner Süße und mit einer immer noch spürbaren, erfrischenden Säure. Eine große Ähnlichkeit zu unseren Weinen ist der Blick auf die Edelsüßen. Als Rarität werden auch hier in Japan diese gehaltvollen Dessert-Weine gehandelt und mit besonders demütiger Körpersprache eingeschenkt. Hier darf ich wiederum einen Koshu genießen, diesmal in einer Cuvée mit Riesling und Sémillion.
Meine nächste Station ist die Firma Fujiclair in der Stadt Shimoiwazaki. Hierzu gehört Fujicco Winery Co., Ltd., gegründet 1963. Fujiclair produziert neben Wein und Fruchtweinen auch Säfte und Lebensmittel. Der Parkplatz ist gesäumt von Chardonnay-Reben. Mit tiefer Verbeugung werden wir begrüßt. Ein weiterer Gruß sticht im Foyer in Auge. Ein Holzfass mit Deutscher Inschrift. Im Verkostungsraum kann ich dann gar nichts mehr lesen. Alles – selbst die Zahlen – sind in japanischer Schrift. Ich bin froh über David, der mir einige Zeichen (Bildsprache) erklärt. Da er jedoch von Wein keine Ahnung hat, braucht es viel Fantasie. Ich muss mich auf meine Zunge verlassen und höllisch aufpassen, dass ich nicht doch aus Versehen einen Kiwi-Wein im Glas schwenke.
Die Rotweine werden überwiegend in französischer Eiche ausgebaut. Von der Nase her sagt mir keiner wirklich zu. Ich probiere die Sorte Muscat Bailey und eine Cuvée aus Muscat Berry A, Black Queen und Arikanto. Freude will bei mir allerdings nicht aufkommen. Gesichtswahrung ist jetzt absolut wichtig. Niemals stößt man einen Japaner vor den Kopf. Man lächelt und sagt solche Sachen wie: „sehr interessant“ und „ungewöhnlich“ oder „sehr spannend“ oder „über diesen Geschmack muss ich nochmal nachdenken“.
Es ist für mich wirklich ein ganz besonderes Erlebnis und eine interessante Erfahrung zugleich, dass Obst- und Fruchtweine offensichtlich dem traditionellen Wein gleichgesetzt werden. Vielleicht sollte ich zu Hause dem Fruchtwein mit weniger Naserümpfen begegnen. „Trauben sind doch bei euch in Europa auch Obst, oder? „Klar“ sage ich. Gerne hätte ich jetzt die Sprache beherrscht um zu erläutern, warum wir diesen Unterschied auch im Weingesetz machen.
Zum Abschluss probiere ich den Koshu naturtrüb. Ein leicht moussierender Wein ohne Filtration mit der vollen Herbe der Hefe, begleitet von Birnen- und Zitrusaromen. Da wir stets ein besonderes Augenmerk auf die Klarheit des Weines richten, wird mir an dieser Stelle wieder bewusst, dass ich in einem Land unterwegs bin, in dem wirklich alles anders ist.
Leider kann ich nichts kaufen, da mir mein Übergepäck beim Rückflug jetzt schon Sorge bereitet. So sage ich „Arigato kon-zai maas“ und „Sayonara“. Vielleicht sieht man sich in Düsseldorf zur Pro Wein wieder. Es ist spät geworden und zum Bergsteigen bleibt jetzt keine Zeit mehr. David hat die Lösung: Zum Fuji San geht‘s mit dem Shuttle-Bus auf 2.705 Meter. Die restlichen 1.471 Meter – zu Fuß – verkneife ich mir. Dafür war ich im Yamanashi, einer Weinregion die besondere Weine hervorbringt, die auch uns Europäern schmecken.