Anfang September verschlug es mich mal wieder nach Ungarns renommierte Rotweinstadt Villány, unweit von Pécs, Europas Kulturhauptstadt von 2010. Neben Kékfrankos und Portugieser haben sich seit den 1990er Jahren die Rebsorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc (hier reift er endlich aus) und Merlot für die Premium Kategorie durchgesetzt, so dass man schnell ein Synonym für die 2.500 ha große Region um Villány fand – Das Bordeaux des Ostens.
Von Pécs kommend fällt auf, dass jede Ortstafel zwei Bezeichnungen aufzeigt. Unter der ungarischen befindet sich der deutsche Ortsname, daher nennt sich Villány auch Wieland.
Die deutschen Ortsnamen erinnern an den wirtschaftlichen Aufschwung im 18. Jahrhundert, veranlasst durch die Ansiedlungswelle der Oberhabsburgerin Kaiserin Maria Theresia. Gesucht wurden Landarbeiter fürs Feld und den einsamen Kriegswittwen. Gefunden wurden fleißige Einwanderer mit wirtschaftlichen Kenntnissen und Fertigkeiten vorwiegend aus Schwaben, Bayern und Hessen, die fortan alle Svábok hießen und den fruchtbaren Boden u.a. mit eingebrachten Reben wie z.B. Portugieser und Lemberger (= Kékfrankos), bepflanzten. Dieser Entwicklung folgte die Bezeichnung „Svábok“ für alle Deutschen. Unfassbar, in Ungarn wird selbst der Ostfriese zum Schwaben…
Villány ist auch die Heimat von Winzer und Unterlagenveredler Zsigmond Teleki (1854-1910). Zur Zeit der Reblausplage entwickelte er die kalkverträgliche Rebunterlage Berlandieri x Riparia , die heute weltweit verbreitet ist.
Seit meinem letzten Besuch in 2002 hat sich hier sehr viel Positives getan. Die Tendenz ging seitdem in großen Schritten zu Fine Wine mit angeschlossener Spitzengastronomie. Eine Erwähnung bzw. Empfehlung verdienen die Restaurants Mandula und Sauska. Hier erinnert man sich stets an die kulinarischen, gebietstypischen Wurzeln von erstklassigen regionalen Zutaten mit leicht francophilen Einflüssen. Das Servicepersonal ist unerwartet gut geschult und tritt als stilvoller Gastgeber dezent in Erscheinung.
Villány ist seit 2006 kontrolliertes und geschütztes Weingebiet mit dem Kürzel DHC für Districtus Hungarus Controllatus. Die Dichte an Spitzenwinzern ist sehr hoch, d.h. es lässt sich hier ganz wunderbar ca. eine Woche verplanen, um alle Adressen locker fußläufig zu erreichen. Hier sind alphabetisch die Hauptakteure: Jozsef Bock, Sándor Csányi, Attila Gere, Zoltán Günzer, Evelyne und Erhard Heumann, Csaba Malatinszki, Katalin Polgár, Ede und Zsolt Tiffàn, Alajos Wunderlich,
sowie Horst Hummel, nebenbei Rechtsanwalt in Berlin. Er gehört zur ersten Generation der ungarischen Biodynamischen Winzer und Orange Wine Erzeugern. Sehr zu empfehlen!
Besuch beim Weingut Attila Gere
Mit dem 1 ha großen Weinberg als Hochzeitsgeschenk von Attila und seiner Frau Katalin im Jahr 1976 wurde der Grundstein des Unternehmens gesetzt. Hauptberuflich als Forstwirtschafter tätig, füllte er die erste Ernte in Kanistern ab und verkaufte den Wein bei umliegenden Gasthäusern. 1986 ließ er seine Weine erstmals in Flaschen füllen, so dass er fortan die feine Gastronomie in Budapest erreichen konnte.
Im Zuge der politischen Wende und Öffnung kam es 1992 zur ersten ungarisch-österreichischen Weingüterpartnerschaft. Franz Weninger aus Horitschon und Attila Gere wurden Geschäftsfreunde. Die Hauptziele waren u.a. die Entwicklung des Kékfrankos auf ein höheres Qualitätsniveau sowie Schaffung der Villányer Premiumwein Kategorie. Der „Phoenix“, eine Cuvée aus Kékfrankos, Cabernet und Merlot wurde von nun an stark bei der fein betuchten ungarischen Kundschaft angefragt. 1997 wurde erstmals der „Kopár“ abgefüllt, benannt nach der kalkhaltigen Lage westlich von Villány gelegen.
Mittlerweile bewirtschaftet er 70 ha Rebfläche im biologischen Anbau mit Unterstützung seiner Kinder Andrea und Attila Junior. Man erinnert sich gern wieder an fast vergessene Rebsorten wie Bakator und Fekete Járdovány. Während der sozialistischen Massenweinepoche wurden diese Rebsorten radikal gegen Massenträger ausgetauscht. Die Rettung dieser „Stiefsorten“ ist letztlich den damals geduldeten Feierabendwinzern zu verdanken, die für sich stets die besseren Weine im Keller einlagerten.
Empfangen wurde ich von der charmanten Andrea, die Tochter von Attila Gere, die hauptsächlich für Marketing und Export des Weinguts zuständig ist. Ihre internationalen Kenntnisse und Kontakte erwarb sie u.a. mit der WSET Diploma Ausbildung in London.
Die Kellerei ist technisch auf dem modernsten Stand, jedoch erfahrene Handarbeit wird weiterhin hoch geschätzt. Nach der Lese werden die Trauben für die Premiumweine zu sechst am Sortiertisch kontrolliert und selektiert. Im Holzfasskeller reift der Wein ausschließlich in ungarischer Eiche des Zempléner Waldgebiets. Der verantwortliche Kellermeister ist Balázs Forgacs. Hier begegnen wir den Grandmaster himself, Attila Gere. Er hätte sicher einen guten Quarterback auf dem Rugbyfeld abgegeben. Wieso hätte, auch heute noch sicher möglich. An ihm kommt halt keiner vorbei. Eine sehr ruhige und besonnene Erscheinung. Gezielte Blicke, wenig Worte. Ich vermeide daher Smalltalk und schlage ihm vor, ein historisches Tasting zusammen mit Franz Weninger auf der Seebühne Mörbisch an der Ösi-Magyaren-Grenze zu organisieren. Damit habe ich ihm immerhin ein Strahlelächeln entlockt.
Im Verkostungsraum hat Andrea bereits alles vorbereitet. Folgende Rotweinserie stand auf dem Programm:
- 2016 Kékfrankos DHC Villány
- 2016 Fekete Járdovány
- 2016 Syrah
- 2015 Villány Cabernet Franc
- 2013 Solus Merlot
- 2015 Kopár – 50% Cab. Franc, 40% Merlot, 10% Cab. Sauv.
Durchgängig habe ich notiert: präzise Frucht, nie marmeladig, feinst gewebter Gerbstoff, sehr elegant. Krampfhaft suchte ich nach einer guten Tat aus greifbarer Vergangenheit, denn der liebe Gott meinte es mal wieder gut.
Der Merlot „Solus“ wurde damals inspiriert durch Freund und Berater Tibor Gál aus Eger, ehemals Betriebsleiter von Ornellaia. Eines Tages kam er mit einer Flasche Masseto zu Besuch. Er war überzeugt davon, dass sich Merlot geologisch wie klimatisch hervorragend in den oberen Teil der Lage Kopár eignet. Nachdem der Masseto von der Gere Familie geleert wurde gab es keine Zweifel daran. Im Jahr 2003 wurde erstmals Merlot für den Solus geerntet.
Der kritischste Weinverkoster der Geres ist wohl Andreas Großpapa mit 99 Jahren. Als er den Masseto verdeckt verkostete, war sein Kommentar: Der ist nichts Besonderes, denn der kommt ganz sicher nicht aus Villány.
Nach der höchst herzlichen Verabschiedung, nach ungarischer Art eben, bleiben meine Gedanken an der Lebensleistung von Herrn Gere haften. Die politischen und wirtschaftlichen Widrigkeiten der 1980er in einem kommunistischen, unbeweglichen System haben ihn nicht von seinem ideologischen, vinologischen Weg abgebracht. Aus anfangs 1 ha Kanisterwein sind 70 ha Flaschenweine auf internationalem Spitzenniveau entstanden. Zudem hat sein jahrzehnterlanger qualitätsorientierter Einsatz dazu beigetragen, dass heute der Ortsname Villány mit exzellentem Rotwein verbunden wird. Mein ungarischer Kommentar lautet: Le a kalap! Das bedeutet: Hut runter! Mon dieu, Châpeau bas! geht einfach besser von der Zunge aus dem Bordeaux de l’Est.