Freitag, den 29.04.2022
Besuch beim Demeter-Weingut Karin und Roland Lenz, Uesslingen
Autor: Jörg Philipp
Konsequenz in Vollendung
Der Besuch beim Weingut Lenz in Uesslingen war aufrüttelnd, sehr informativ und extrem wohlschmeckend. Bereits bei der Einleitung kündigte Roland Lenz an, dass er uns andere Sichtweisen und Vorgehensweisen vermitteln würde.
Teil seines Konzepts ist es die Natur zu begleiten und nachzusehen, dass alles funktioniert. Wer sehr viel im Weingarten arbeiten muss, hat noch Potential sich das Leben bequemer zu machen. Wie? Durch Beobachtung der Natur und konsequent nichts zu tun, was nicht nötig ist.
Mit 35 Rebsorten sollte man meinen, dass die Arbeit einen überrollt. In der Praxis entzerrt man den Zeitaufwand bei Bearbeitung und Lese. Während der Lese z.B. kann das Weingut Tag für Tag perfekt planen und jede Rebsorte zum optimalen Zeitpunkt in den Keller begleiten. Und dies schmeckt man bei den Weinen. Mit einer Rebsorte, Souvignier Gris, hat er gezeigt, dass der resultierende Wein frisch fruchtig daher kommen kann. Oder würzig, strukturiert und intensiv als Barrique. Ebenso wie reif, animierend und kantig als Orange Wein.
Ein Besuch, der auf positive Weise wachrüttelt und zeigt, dass vieles, was wir seit Jahrzehnten machen, hinterfragt werden sollte. Und vor allem beweist, dass Konsequenz im Umweltschutz extrem viel Spaß im Glas macht.
Besuch bei Bruno und Ruth Hartmann, Remigen
Autor: Michael Kugel
Der letzte Tag einer Reise ist immer etwas – wie soll man sagen – anders. Zum einen ist man traurig, dass eine gute, erlebnisreiche und schöne Woche zu Ende geht. Zum anderen denkt man auch schon ein wenig an den langen Heimweg und freut sich, bald wieder im eigenen Bett schlafen zu können.
Wir kommen nach Remigen in der Deutsch-Schweiz zu Bruno und Ruth Hartmann. Nicht nur einfach ein Familienbetrieb. Die Hartmanns wissen ganz genau wie man Gäste empfängt und umsorgt. Wir sind im wahrsten Sinne herzlich willkommen und spüren sofort die Freude, die uns entgegengebracht wird. Unser Gastgeber und Organisator Peter von Niederhäusern pflegt seit Jahrzehnten eine persönliche Freundschaft zum Haus, dies kommt uns Neuankömmlingen natürlich auch zugute ;-)
Vor 33 Jahren wurde das Weinbau-Familienunternehmen gegründet. Wir sehen, zu einem ersten Schluck süffigen Müller-Thurgau (den VIOLA AOC Aargau), einen schönen Film über die Philosophie des Betriebes. Erste Priorität haben neben allem familiären Qualität und Originalität, naturgerechte Anbau- und kontrollierte Keltermethoden, aber auch die Pflege der Weinkultur.
Aus 16 Hektar Reben werden 22 Rot- und Weißweine sowie einige Spezialitäten gekeltert. Die Reben wachsen an Jura-Südhängen, im Gebiet des Wasserschlosses, wo die drei Flüsse Aare, Reuss und Limmat zusammenfließen. Gleich um die Ecke liegt ein ehemaliges römisches Legionslager (Vindonissa), was zeigt, dass die Römer vor über 2000 Jahren die Weinkultur in diese Gegend, rund 7 km bis zur deutschen Grenze (bei Waldshut-Tiengen), brachten. Daran erinnert auch ein „Römer-Wy“ aus den Museumsrebbergen, den die „Vindonissa-Winzer“ als Attraktion für Besucher und Touristen pflegen. Auch die Habsburger hatten hier lange einen Sitz. Mehr Beweis, dass es landschaftlich besonders schön und auch klimatisch angenehm ist, geht – zumindest historisch betrachtet – wohl nicht. Am besten selbst einen Besuch des Jurapark Aargau einplanen!
Wir erfahren, dass das Jahr 2021 auch hier recht schwierig war. Ein zunächst optimaler Austrieb wurde von Frost geschädigt. Im Sommer hatten die Reben große Hagel- und Sturmschäden mit der Folge von Ertragsausfall von 90% in Villnachern (in der Sommerhalde) und von 50% in Remigen. Bei allem Verzagen freute man sich über einen trockenen Herbst, der am Ende eine kleine, aber qualitativ sehr gute Traubenernte einfahren lies.
Auf unserer Reise hatten wir viele Gespräche mit Bio- und Demeter-Winzern. Hier hören wir eine weitere Sichtweise, die die Hartmanns in ihrer Philosophie seit Beginn an aktiv leben. Nicht rein Bio, jedoch Biodiversität im Rebberg ist das Motto. Der naturnahe Weinbau ist das Maß (und das nimmt man ihnen auch ab).
Man spricht von „Ökobuchhaltung“ im Rebberg und von „Kellerbuchhaltung“ im Keller. Schützen, pflegen, fördern. Wenig Hilfsmittel (aber ganz ohne geht es nicht), Natur da Natur sein lassen, wo es den Reben hilft. Man legt Wert auf eine Mischkultur, die ein intaktes Zusammenspiel der Pflanzen und der Tierwelt garantieren soll. Agrofutura hat die Rebberge mit einer hohen ökologischen Vielfalt bonitiert. Die Hartmanns sind sehr stolz, dass seit 1985 ihr ganzer Aufwand mit dieser ökologischen Bilanz ausgezeichnet wurde. Den Umstieg auf Bio-Dynamie hat man im Blick, auch die PiWi-Sorten. Trotzdem wird man nie auf die Burgunder-Sorten und den Müller-Thurgau verzichten, so Bruno Hartmann. Alles in allem hörte sich das sinnvoll und glaubwürdig an. Die Wirtschaftlichkeit und der ökonomische Erfolg sind eben auch wichtig.
Interessant fand ich, was über die Ganztraubenpresse mit den Rappen gesagt wurde. Zwar gebe es rund 3% weniger Saftausbeute, dennoch wirken die Rappen in der Presse wie Kapillare und sind am Ende gar nicht beschädigt. Ein mechanisches Entrappen bedeute Stress für die Trauben. Dies wirke sich negativ auf die Beeren und den Wein aus, da in der herkömmlichen Trennung die Rappen verletzt werden und ihre Bitterstoffe ausscheiden (und wieder was gelernt).
Bis zum Mittagessen (einer ganz besonderen Bratwurst) hatten wir verschiedene Weine aus dem 21er Jahrgang verkostet, z. B. Müller-Thurgau mit und ohne BSA (im Vergleich), Sauvignon Blanc (wie es sein muss – Grapefruit, grüne Paprika, Stachelbeere) und Souvignier Gris, der ohne Pflanzenschutz auskam und eine exzellente, nervig-frische Aromatik aufwies (Zitrus, Mirabelle, Pfirsich). Der Gewürztraminer aus 2020 (ohne BSA) überraschte mit einem spannenden, schlanken Körper. Der 2018er Pinot Noir (über 100°OE) vom Kalkboden machte allen Freude. Cabernet Jura aus dem Eichenfaß (für viele bot diese Sorte einen neuen Eindruck). Von Zweigelt waren unserer Österreicherinnen in der Gruppe ganz überrascht (O-Ton: hätten wir nie gedacht, dass der anderswo auch super geht!) und zum Schluss der Unicus, eine Cuvée aus 60% Cabernet Dorsa, 30% Garan Noir, 5% Dornfelder und 5% P.N.
Schlusswort
Autor: Michael Kugel
Die Schweiz ist ohne Zweifel eines der schönsten Länder auf dieser Welt. Nicht umsonst gibt es weltweit dieses „Adelsprädikat“ 191 Mal für besonders schöne Landschaften, die alle mit dem Zusatz „Schweiz“ versehen wurden. Alleine in Deutschland werden aktuell 105 „Schweizen“ gezählt, wie z. B. die Holsteinische Schweiz, Sächsische Schweiz, Fränkische Schweiz oder Märkische Schweiz und tatsächlich noch 101 andere Gegenden.
Wo Reben stehen, kommen noch die besonderen Kulturlandschaften und das milde Klima dazu. In der Regel ergänzt sich das Ganze noch kulinarisch. Kurz und Bündig: Unsere FuW-Weinfachstudienreise war für alle Sinne eine großartige Unternehmung!
Unser Dank gilt Peter von Niederhäusern, der, wie ein Schweizer Uhrwerk (auch ein Prädikat), diese Woche so exakt geplant hatte, dass alles perfekt ineinander spielte. Am letzten Tag offerierte er uns sein langsames, aber sicheres Ausschreiten aus unserem Fachverband. Ab 2023 wird er in den wohlverdienten Kreis der FuW-Alumni wechseln. Lieber Peter, es sei Dir gegönnt. Du hast mit dieser Reise in Wahrheit Deine Abschiedstour durchgeführt und dafür gesorgt, dass wir Dich und Dein Land noch sehr lange in Erinnerung behalten werden. Herzlichen Dank dafür! Es war uns eine ganz besondere Freude.
Unser Verständnis zur Gastrolle.
Gastfreundschaft ist keine Einbahnstraße – so war es unser Anspruch, in der Schweiz in guter Erinnerung zu bleiben. Schließlich sind wir nicht nur Weinexperten und an den Traubenerzeugnissen interessiert, sondern in gewissem Maße auch Botschafter des großen Nachbarlandes im Norden. Lange haben wir überlegt, was ein gutes Gastgeschenk sein würde. Deutscher Wein, so der rasche Entschluss, wollten wir nicht mit in die Schweiz nehmen.
Für was also steht Deutschland noch (außer gute Autos) in der Welt? Brot, Käse und Wurst. In allen drei Warengruppen dürfen wir tatsächlich sehr stolz auf tausende verschiedene Sorten sein. Somit war unser Gastgeschenk von kulinarischer Prägung: Einen Bio-Schafskäse aus dem flachen Havelland im Norden Berlins (sozusagen das Gegenteil zur Schweiz und zum Bergkäse) und eine „Ahle Worscht“ aus dem Nordhessischen Bergland, welches als eines der schönsten Mittelgebirgslandschaften Deutschlands gilt (und eigentlich auch eine Schweiz ist!). Mit den beiden essbaren Mitbringseln haben wir hoffentlich einen guten Eindruck hinterlassen und hoffen, dass wir eines Tages wiederkommen dürfen.
Allen Teilnehmer sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt. Die Gruppendynamik, der Umgang untereinander, der Stil und die Gespräche waren ausgesprochen angenehm. Es ist schön, dass sich eine derartige Reisekultur innerhalb unseres Fachverbands entwickelt hat.